Asexualität

Den meisten Menschen fällt gar nicht auf, wie sexuell geprägt unsere Gesellschaft ist. Es wird als selbstverständlich hingenommen, dass man einen Lieblingsfußballer hat oder eine Berümtheit, die man anhimmelt. Allerdings gibt es Menschen, die damit wenig bis gar nichts anfangen können: Asexuelle. So wenig, wie sie sexuelle Themen nachvollziehen können, verstehen Allosexuelle, also "normal" sexuelle, was in den Köpfen von asexuellen Personen vorgeht. Asexualität wird von vielen gleichgesetzt mit dem krankhaften Fehlen des Sexualtriebs. Solche Menschen müssen doch prüde sein, lustlos und können niemals jemanden lieben... oder?
Unsere Gesellschaft ist nicht allzu aufgeklärt, was Sexualitäten anbelangt. Klar, mittlerweise weiß jeder, dass es neben Heterosexuellen auch Homosexuelle gibt. Auch Bisexualität ist nicht unbekannt und je nach Person ist sogar Pansexualität ein Begriff. Aber Asexualität? Also irgendwie... gar nicht sexuell? Ist das überhaupt möglich?
Ja, das ist es. Jedoch ganz anders, als das Klischee suggeriert. Im Folgenden möchte ich euch über das Thema Asexualität erzählen. Wie es von anderen gesehen wird, wie sich Asexuelle selbst wahrnehmen und allem, was dazu gehört.

Wahrnehmung

Wenn man sich als asexuell outet, stößt man in der Regel auf Unverständnis. Es geht einfach nicht in den Kopf vieler Menschen, dass man keine Sexualität braucht. Typischerweise werden dann verletzende Dinge gesagt, ohne dass derjenige überhaupt versteht, wie es beim Gegenüber ankommt. Hier ein paar Beispiele:


Aber wie sehen sich Asexuelle, auch Aces genannt, nun selbst?
Sie denken nicht, dass ihnen etwas fehlt. Wie soll einem etwas fehlen, was nie dagewesen ist? Stellt euch jemanden vor, der allein mit Kraft der Gedanken Dinge bewegen kann. Als er hört, dass ihr das nicht könnt, ist er ganz erstaunt: "Wie, du kannst das nicht? Ist das ohne nicht schrecklich?" Was denkt ihr, ist es schrecklich? Bisher kamt ihr doch auch ohne aus. Ihr habt euer ganzes Leben lang so gelebt, warum sollte euch auf einmal etwas fehlen, was ihr nie hattet?
Schon gar nicht sehen Asexuelle sich selbst als krank an. In welchem Zeitalter leben wir? Homosexuelle sind schließlich auch nicht krank. Wenn jemand eine Krankheit hat oder Medikamente nimmt, die Lustlosigkeit verursachen, hat das mit Asexualität nicht viel zu tun. Asexualität ist eine sexuelle Orientierung.
Nicht jeder, der keinen Geschlechtsverkehr hat, ist asexuell. Es gibt auch Menschen, die zum Beispiel keinen Sex vor der Ehe haben wollen. Es ist ihre Entscheidung abstinent zu leben. Asexuell zu sein haben sich die betreffenden Personen nicht ausgesucht, sie sind es einfach und es wird sich höchstwahrscheinlich niemals ändern.

Asexualität und Aromantik

Nur weil man asexuell ist, heißt das nicht, dass man nicht lieben kann. Es ist daher zu unterscheiden zwischen Asexualität und Aromantik, die gleichzeitig auftreten können, aber nicht müssen. Asexualität ist das nicht vorhandene Verlangen nach sexuellen Aktivitäten mit anderen. Viele Aces wünschen sich trotzdem eine Beziehung mit Zärtlichkeiten und Liebe. Um zwischen sexueller und romantischer Anziehung zu unterscheiden, beschreiben sich Aces oft zum Beispiel als heteroromantisch asexuell.
Im Gegensatz dazu verspüren Aromantiker keine Liebe. Aber auch hier heißt es wieder: Sie vermissen nichts, weil sie es noch nie hatten. Einsam müssen sie trotzdem nicht sein, schließlich gibt es Freunde. Und gute Freundschaften sind mindestens genauso viel wert wie ein Partner.
Halten wir fest: Es gibt romantische Asexuelle. Es gibt aromantische Asexuelle. Romantische Sexuelle sind wohl am meisten vertreten. Gibt es also auch aromantische Sexuelle? Ja, natürlich. Diese Menschen verlieben sich nicht, haben aber trotzdem das Verlangen nach sexueller Interaktion.

Partnerschaft und Intimitäten

Wie stellen sich Asexuelle eine Partnerschaft vor? Ist eine Beziehung ohne Geschlechtsverkehr nicht quasi eine Freundschaft? Nein, das ist nicht dasselbe! Man stellt sich zwischenmenschliche Beziehungen gerne als eine Art Skala vor. Unten sind Fremde, dann Bekannte, Freunde, Familie und ganz oben thront der Partner. Die Realität bildet das allerdings nicht ab. Denn Freunde können genauso wichtig sein wie ein Partner, es ist einfach etwas völlig anderes. Zu Freunden und Familie hegt man (hoffentlich o.o) keine romantischen Gefühle.
Jeder Mensch ist unterschiedlich, daher sollte klar sein, dass die Grenzen für jeden Asexuellen woanders liegen. Es gibt Asexuelle, die lehnen jegliche Art von Küssen ab. Dann wiederum gibt es Asexuelle, die ihrem Partner zuliebe sogar mit ihm schlafen. Die meisten Asexuellen vermeiden jedoch Berührungen im Intimbereich. Einige - aber nicht alle! - empfinden es auch als ekelig.
Viele Aces wünschen sich auch eine Familie. Es gibt also Aces mit Kindern, auch auf natürlichem Wege.
Übrigens haben Masturbation und Asexualität kaum etwas miteinander zu tun. Asexualität bezieht sich auf das eigene Verlangen nach Sexuellem gegenüber anderen.
Ist eine Liebesbeziehung zwischen einem Asexuellen und einem Allosexuellen möglich? Ein klares Jein. Es kommt auf die beiden Personen an und wie viel sie dem jeweils anderen eingestehen können. Einige Asexuelle schlafen zum Beispiel einmal in zwei Monaten mit ihren Partnern. Allerdings haben sie selbst eigentlich keine Lust, sondern machen es dem Partner zuliebe. Oftmals ist das dem Partner jedoch auch nicht recht, schließlich will er, dass beide Spaß haben. Der Ace kann sich trotzdem nicht ändern, selbst wenn er wollte. Daher ist es meiner Meinung nach vor allem von dem sexuellen Partner abhängig, wie gut die Beziehung funktioniert.

Demi, Grau, Fikto?

Der Mensch wäre kein Mensch, wenn er nicht versuchen würde, alles zu klassifizieren. Dementsprechend ist Asexualität der Überbegriff für zahlreiche Orientierungen. Ich muss gestehen, dass ich mich in der Hinsicht nicht zu genau auskenne, daher möchte ich das Thema nur ankratzen.
Demisexualität. Vor allem am Anfang ihrer Orientierung fragen sich viele Aces, ob sie demisexuell sind. Das heißt, dass sie keine sexuelle Anziehung verspüren. Erst deutlich später, wenn sie jemanden lieben, insbesondere den Charakter, fangen sie an, sexuelle Anziehung zu verspüren. Also: Fremde? Nein. Der (langjährige) Partner? Ja.
Grau-Asexualität. Gibt man der Asexualität eine Farbe, ist sie schwarz. Sexualität ist hingegen weiß. Der Mensch ist nicht binär, sondern es gibt auch andere Formen, die sich nicht richtig zuordnen können. Wichtig: Sexualität ist keine Skala. Grau-asexuell heißt also nicht, dass es zwischen Sexualität und Asexualität liegt. Es beschreibt aber, dass derjenige wenig bis gar kein Verlangen nach sexueller Interaktion hat.
Fiktophil. Das ist eine Form, die ich ansprechen möchte, weil sie oder zumindest ähnliches Verhalten meiner Meinung nach gerade im Anime-Bereich oft zu finden ist. Fiktophile Menschen wollen nicht mit anderen Menschen sexuell aktiv werden. Dafür entwickeln sie große Zuneigung gegenüber fiktiven Charakteren, zum Beispiel aus Filmen oder auch eigene. Es gibt sicherlich auch welche, die dies sexuell ausleben, wahrscheinlich die meisten wollen dies nicht (also asexuell).

Bin ich selbst asexuell?

Asexualität ist facettenreich. Ob jemand asexuell ist oder nicht, kann nur derjenige für sich selbst entscheiden. Letztlich ist der Begriff "asexuell" nicht dazu gedacht, um ihn anderen Menschen auf die Nase zu binden. In erster Linie soll er dabei helfen, sich selbst zu verstehen. Warum bin ich so? Sollte ich anders sein? Warum ekel ich mich davor? Ist das normal?
Zu wissen, dass man asexuell ist, kann einem also enorm weiterhelfen. Man kann sich akzeptieren (lernen) und erfahren, dass es auch andere Menschen gibt, die so sind, und dass "normal" nicht mit "richtig" gleichzusetzen ist. Außerdem kann es einem dabei helfen zu akzeptieren, dass man nichts mit dem Partner tun muss, was man nicht möchte. Denn das ist es nicht wert.

Symbole

Wie auch andere sexuelle Orientierungen haben Asexuelle eigene Symbole.
Die Flagge. Sie hat vier Querstreifen in den Farben (von oben nach unten) schwarz, grau, weiß und lila.
Das Ass. Asexuelle nennen sich, wie bereits erwähnt, auch Aces. Das kommt vom Englischen "Asexuals", dessen erste Silbe "Ace" ergibt. Ace ist Englisch für das Ass in Kartenspielen.
Ring. Ein schwarzer Ring am rechten Mittelfinger ist ein Symbol für Asexualität.

Linkliste:


geschrieben am 17.11.2018